Liebe geht durch den Magen, sagt man. Nun, auch Bier geht durch den Magen, und Metal geht zwar eher durch die Ohren, aber wir lieben ihn von ganzem Herzen. Was ich sagen will: Irgendwie besteht da eine gewisse Verzahnung zwischen dem goldgelben Traditions-Durstlöscher mit Schaumkrone und der Metal-Szene. Dass Bier zwar zu den beliebtesten, nicht unbedingt aber zu den gesündesten Lebensmitteln zählt, wird gelegentlich von eifrigen Liebhabern bestritten, doch die überwiegende Mehrheit an Hausärzten und Suchthilfen bezieht hier eine recht eindeutige und leider etwas andere Position: Es ist alles andere als gesund.
Auch nach außen ist die Szene bekannt für ihren ungesunden Lebensstil. Befragt man Außenstehende zu ihrem Bild vom Metal, werfen Befragte gerne mit Klischees von wilden, tätowierten und vor allem betrunkenen Männern um sich, die eine gewisse Neigung zu unerträglich lauten musikähnlichen Geräuschen hätten. Man schreie in dieser Szene nur, man werfe seinen Kopf und die Haare immer wild durch die Gegend, es gehe nur um Tod und Zerstörung, alles sei unzivilisiert und überhaupt alles andere als lebensbejahend und könne auf Dauer ja kaum gesund sein. Soweit deckt sich die Haltung vieler Außenstehender mit der der Hausärzte.
Naja. Wenn sich die Metal-Szene jedenfalls auf eines verständigen kann, dann darauf, dass es nicht nur um eine bestimmte Spielart der Rockmusik geht, sondern um ein Lebensgefühl, das einen eigentlich ziemlich lebendig und gesund fühlen lässt. Ein Lebensgefühl, das sich eben nicht nur durch Doublebass-Gewitter, Bratgitarren, Dämonengegurgel und heroische Meister-Soli auszeichnet, sondern längst eine eigene Kultur um sich herum entwickelt hat, in der sich ziemlich viele Leute ziemlich wohl fühlen.
Als Metalheads haben wir selbst ja ein weitaus differenzierteres Bild unserer Musik-Szene als Außenstehende, das auch wesentlich wohlwollender daherkommt als es die Klischees vermitteln, im Kern aber die gleichen Argumente bringt: Im Zentrum steht die Musik, man trägt vorzugsweise die Farbe schwarz und schmückt sich mit Logos und Schriftzügen seiner Lieblingsbands, sei es als Merch-Aufdruck, Kutten-Patch oder Tattoo. Letztere schmücken oft üppigen Ausmaßes diverse Extremitäten und weitere Körperteile, selten jedoch den Kopf, denn hier dominiert ausgeprägte Haar- und Bartpracht. Diese möchte man wiederum möglichst energisch im Rhythmus der Musik durch die Lüfte schwingen, und dazu besucht man regelmäßig frohlockend Konzerte und Festivals, wo dann große Mengen an Bier konsumiert werden, wo man unter seinesgleichen ist und die Welt fernab aller Probleme noch intakt ist.
Zivilisiert ist die Szene also jedenfalls schon; der Vorwurf der Unzivilisiertheit verhallt also. Doch vielleicht ist das mit den ungesunden Verhaltensweisen gar nicht so weit her. Denn so vielseitig die Szene ist, so groß ist auch die Schnittmenge, die sämtliche Spielarten vereint:
Die Tendenz zum Ungesunden
Metal weist ja bekanntlich eine außergewöhnliche Bandbreite an Subgenres auf, die wiederum jeweils ihre ganz eigenen Prägungen auf die jeweiligen Fans und deren Lebensgewohnheiten und Erscheinungsbilder haben. Das lässt sich durch Beispiele aus zwei völlig verschiedenen Bereichen des Spektrums illustrieren:
Beispiel 1: Heavy Metal – Man trägt Kutten mit Band-Patches der letzten 40 Jahre, dazu lange Haare, Bart, Tattoos, neigt zu Unmengen an Bierkonsum und einer ausgeprägten Affinität zu langen Nächten in Szenekneipen sowie metalbezogenen Facebook-Gruppen. Beispiel 2: Black Metal – modisch sind schwarze Gothic-Outfits aus Kunstleder mit bedrohlichen spitzen Metallbeschlägen und Corpsepaint im Gesicht seit vielen Jahren angesagt, und ja, leider finden wir hier auch gelegentlich eine besonders unreflektierte oder bewusst inszenierte Nähe zu rechtsextremen Gruppierungen oder verurteilten Gewalttätern und Mördern.
So verschieden beide Subgenres sind, könnte man sich dennoch darauf einigen, dass berauschende Getränke bzw. generell ungesundes oder nicht unbedingt lebensbejahendes Verhalten eher zur Metal-Kultur gehören als beispielsweise gesunde Lebens- und Ernährungsweisen.
Man könnte sogar durchaus feststellen, dass diese im Metal-Kult nicht nur überhaupt nicht zur religiösen Praxis gehören, sondern häufig mindestens verpönt, manchmal gar geächtet sind. Das zeigt sich übrigens in umgekehrter Logik auch an der bemerkenswert hohen Zahl an Songtexten, die sich eher mit Tod, Zerstörung und inneren Kämpfen als mit gesunden und nachhaltigen Lebensführungen auseinandersetzen. Allerdings passen solche Themen nun mal besser zur Klangfarbe unserer Musik als Kaffeekranz und Eierkuchen, das hat also schon eine gewisse Berechtigung. Und nicht zuletzt gerade wegen der negativen Färbung der Songtexte holt Metal viele Menschen ab, die mit negativen Gefühlen und Erfahrungen zu kämpfen hatten und haben, und wir sind froh, diese in unserer Gemeinde willkommen zu heißen und ihnen ein musikalisches Zuhause zu geben. Doch zu Songtexten später einige Ausführungen.
Die inklusive Metal-Szene
Bemerkenswert ist ja der beeindruckende innere Zusammenhalt der Szene – wir alle lieben Metal, und wir wissen um die gesellschaftliche Ächtung unserer Musik außerhalb der Festivals, Konzerte und Metal-Bars. Vielleicht kommt gerade daher die wirklich auffallende Toleranz und Akzeptanz gegenüber wirklich allen Marotten und charakterlichen Besonderheiten unter Metalheads (außer Arschlöchern und Nazis, die gemeinsam und besonders innig gehasst werden). Die Metalszene – die inklusive Gesamtschule der internationalen Musikkultur. Sei wie du bist, nimm dir 'n Bier, hock dich zu uns, Amen. So habe ich die Szene kennengelernt, und so liebe ich sie von ganzem Herzen.
Doch es gibt ein Tabu, und das ist die Ernährung bzw. Flüssigkeitsversorgung des Körpers und der Headbangermähne. Denn wehe, man entblößt die eigene Vorliebe für alkoholfreie Getränke und fleischfreie Ernährung. Hier tut sich für mich ein vermeintliches Spannungsfeld auf: Die so integrative und freundliche Gemeinde des Metal legt nämlich auffallend oft eine erstaunliche Abneigung gegenüber Anti-Alkoholismus, Veganismus und generell gesunden, nicht-zerstörerischen Lebensweisen an den Tag. Bedrückend oft wird die inklusive Szene bedrohlich exklusiv (im wörtlichsten Sinne), wenn man nicht willens ist, auf Festivals Unmengen an Billigfleisch mit mindestens vier Litern Dosenbier am Tag herunterzuspülen.
Eine genaue Soziologie des Metal sprengt leider den Rahmen dieses Essays, daher beschränke ich mich im Folgenden auf eine verkürzte und keineswegs vollständige Erklärung dieses Verhaltens: Die stark männerdominierte Szene neigt zu Musik, die sich zu großen Teilen mit Kampf, Tod, Macht oder Stärke auseinandersetzt, was unter Artgenossen einen gewissen Stolz sowie eine verhältnismäßig stark ausgeprägte Männlichkeit triggert, die sich selbst wiederum in eine Verklärung von Wikingerkultur und mittelalterlichen Schlachten und Kampfidealen projiziert, wo eine gemüselastige Ernährung als ungenügend und ein Zeichen von Schwäche eingestuft wird. Dieses Männlichkeitsideal wird durch die Gemeinschaftserfahrung einer sehr inklusiven Szene potenziert. Als innerhalb der Szene gemeinhin akzeptierte Maßeinheit für diese Männlichkeit hat sich dann im europäischen Kulturkreis die Menge an Volumenprozent Alkohol, die in einem bestimmten Zeitraum durch den Körper fließt, etabliert.
Wie zeitgemäß ist das überhaupt?
Diese Neigung zum übermäßigen Alkoholkonsum ist eine der Verhaltensweisen, die einer genaueren Betrachtung durch die Linse des Zeitgeists lohnt. Ein Blick in die Gesellschaft abseits der Konzerthallen und des heiligen Bodens der Festivals offenbart, dass sich das Verhältnis der Gesellschaft zum Alkohol auch in jüngster Zeit nicht unbedingt stark verändert hat. Auf dem Münchner Oktoberfest werden nach wie vor jährlich Millionen Liter Bier ausgeschenkt, der Aperol Spritz erlebt dank seines Instagram-Appeals bisher unerreichte Höhenflüge, überall schießen Craftbeer-Manufakturen aus dem Boden. Also alles beim Alten?
Nun, zur Wahrheit gehört auch, dass immer mehr Winzer alkoholfreien Wein anbieten (der zugegebenermaßen nie auch nur annähernd nach Wein bzw. irgendwie genießbar schmeckt …), der Alkoholkonsum unter Jugendlichen nachweislich zurückgeht und die Münchner Kultbrauerei Augustiner sich derzeit vor allem an der Nachfrage nach ihrem sensationellen alkoholfreien Bier berauscht. Auch unsere Gesellschaft wird diverser, das Spektrum der Religionen größer – und während Alkohol und das Besäufnis scheinbar integraler Bestandteil gutbürgerlicher deutscher Leitkultur mit christlicher Prägung sind, gilt dies längst nicht für viele unserer zugewanderten Mitbürger, deren Kulturkreise oft den Verzicht auf Alkohol explizit einschließen. Auch unsere Ernährungsgewohnheiten ändern sich, der durchschnittliche Fleischkonsum geht zurück, die Nachfrage nach veganen Ersatzprodukten steigt. Es wäre durchaus nicht falsch zu behaupten, dass eine moderne und weltoffene Lebenseinstellung auch Wert auf gesunde Ernährung und wenig Alkohol legt.
Der Appell verhallt im Bierdunst
Diese Einstellung wird auch von bemerkenswert vielen Bands repräsentiert, die die Infields der großen Festivals regelmäßig füllen und in ihrer Musik auf die Folgen von übermäßigem Konsum, Überfischung und Umweltzerstörung aufmerksam machen. Doch wenn beispielsweise ARCHITECTS, GOJIRA oder HEAVEN SHALL BURN ihre Moshpit-Kanonen zünden, geschieht dies meist in Gegenwart eines ziemlich besoffenen Publikums, das dann auf musikalischem Wege einen Appell an einen nachhaltigen Konsum nach dem anderen zu hören bekommt, der ihrem eigenen Zustand jedoch diametral entgegensteht. Objektiv betrachtet ist ein Festival ja nicht mehr als ein Open-Air-Konzert neben einem Campingplatz, jedoch hat man vor Ort oft eher den Eindruck, es handle sich um eine Anarcho-Konsumrausch-Spielwiese für testosteronbetuchte Saufkrieger in Bierdosenrüstung. Appelle an die kritische Reflexion des eigenen Konsums verhallen in den Weiten der Bier- und Burgerstände.
Lebenswelt: Künstler vs. Fan
Dabei ist auch ein weiterer Aspekt interessant: Die meisten Künstler, die ab dem späten Nachmittag zu bewundern sind, weisen eine deutliche Diskrepanz in ihrer eigenen Lebensführung im Vergleich zum durchschnittlichen Festival-Besucher auf. Der Mythos vom betrunkenen Rockstar ist schon lange Geschichte, auch wenn er im Einzelnen in Koryphäen der volltrunkenen Konzertperformance wie Anders Friden von IN FLAMES oder Adam D von KILLSWITCH ENGAGE noch weiterlebt. Doch deren Hausärzte befinden dieses Berufsleben sicherlich nicht für gesund.
Eine Tour in dieser Liga ist körperlich fordernd, und die meisten Künstler müssen sich lange darauf vorbereiten. Alkohol ist dabei Gift. Will heißen: Ein Großteil der Musiker, die gemeinhin im Vollsuff als Götter der Szene bewundert werden, trinken selbst wenig bis keinen Alkohol und pflegen schon allein qua ihres Berufs einen sehr gesunden Lebensstil, inklusive Sport und mindestens fleischarmer Ernährung. Legenden wie Lemmy, der täglich literweise Jacky-Cola saufen konnte, sind längst die Ausnahme, und sie in dieser Hinsicht zu Helden zu stilisieren oder gar als Vorbilder zu nennen, darf zuweilen als unreflektiert betrachtet werden.
Gedankenexperiment: Ein neues Genre muss her!
Die ironische Schlussfolgerung wäre nun zu postulieren, den gigantischen Flickenteppich an Genres um eines zu erweitern: den Healthy Metal. Schon allein begrifflich wäre das ohnehin nah am traditionellen Heavy Metal. Ich habe ehrlich gesagt keinerlei Vorstellung, wie sich das aus musikalischer Sicht anhören würde. Textlich stelle ich mir allerdings eine gewisse Innovation vor, sodass Songtexte vielleicht ähnlich intellektuell anspruchslos wie in den meisten Songs etablierter Genres, im Kern aber moderner und weniger fragwürdig sind. Anstelle glorifizierten Vollsuffs stünde beispielsweise ein gemütlicher 11-Uhr Brunch mit grünem Smoothie. Man könnte so zum Beispiel den Campground-Klassiker „Vodka“ der finnischen Sauf-Metaller KORPIKLAANI nur durch Änderung eines einzigen Wortes so weit entschärfen, dass anstelle des gepriesenen Vollsuffs durch Billig-Spirituosen nachhaltiges und gesundes Konsumverhalten unterstützt wird. Man vergleiche folgende Versionen:
Oder statt gegenseitigem Abschlachten ein gemeinsames Fitness-Workout. Hier ein Vorschlag zur adaptiven Umgestaltung des Death-Metal-Klassikers "Hammer Smashed Face" von CANNIBAL CORPSE:
... oder auch nicht?
Möglicherweise ist die Schaffung eines eigenen Genres namens „Healthy Metal“ jedoch genauso unsinnig wie das Umschreiben bestehender Songtexte, selbst wenn diese fragwürdig erscheinen. Vielleicht können solche textlichen 180-Grad-Wendungen aber der Inspiration dienen. Und vielleicht sieht sich auch ein gewisser Frontmann einer sehr erfolgreichen Berliner Band mit Pyroshow und Skandal-Allüren berufen, seine Zeit nicht der Vergewaltigungslyrik unter dem Deckmantel der künstlerischen Freiheit zu widmen, sondern eher beispielsweise einem Lehrgedicht zum respektvollem Verhalten gegenüber Frauen. Das würde auch dem Image des Metal guttun.
Aktive bis aktivistische Versuche, die Szene zu verändern, müssen fast zwangsweise in eine Sackgasse münden. Man fühlt sich angegriffen und bevormundet, denn kulturelle Veränderung geschieht von innen heraus, nicht von oben herab. Und haben nicht ELECTRIC CALLBOY erst vor wenigen Jahren mit „Pump It“ einen Fitness-Banger veröffentlicht, der ziemlich genau dem Workout entspricht, das ich eben mühsam aus Versatzstücken eines Death-Metal-Klassikers zusammengefriemelt habe?
Das würde jedenfalls belegen, dass Veränderungen, wie ich sie eben illustriert habe, auch von sich aus und durch etablierte Künstler geschehen, die selbst in der Vergangenheit durch höchst fragwürdige Texte in Erscheinung getreten sind. Unsere Musikrichtung ist einzigartig im Spektrum der Genres und sicherlich keine Geschmacksverirrung. Metalheads sind stolz auf ihre Musik und möchten sie bewahren – vielleicht ist die Szene deshalb so schwer zu verändern. Liebhaber sagen, sie sei perfekt; Kritiker nennen sie konservativ; einige meinen, sie sei unverbesserlich.
Ja, Metal zelebriert ungesundes Verhalten, und insbesondere der übermäßige Konsum alkoholischer Getränke bedarf einer gewissen Hinterfragung, selbst wenn diese nur in liebevoll-halbkritischer Manier in Essays wie diesem stattfindet. Der Szene einen Spiegel vorzuhalten, um aufzuzeigen, dass sie möglicherweise ein Alkoholproblem hat, greift zu kurz – die meisten wissen das wahrscheinlich längst. In diesem Sinne bleibt mir eine kurze Schlussfolgerung: Liebe Metal-Fans, ich liebe euch und unsere Szene, aber bitte passt auf euch auf.
P.S.: Ja, ich weiss, der Text polarisiert und provoziert. Sachliche Anmerkungen gerne in die Kommentare, Liebes- und Drohbriefe bitte nur persönlich per Mail oder Instagram – dann bleiben nur die guten Vibes und guten Diskussionen auf diesem wunderbaren Magazin :)